Dienstag, 18. Dezember 2018

Türchen Nr. 18


Die graue Maus

Wie in jedem Jahr waren die Adventswochen wieder hektisch gewesen.
Sie hatte Kostüme geändert, ausgebessert oder sogar komplett neu hergestellt.
Dann hatte sie alle nötigen Requisiten begutachtet und bei Bedarf repariert,
ausgetauscht oder ebenfalls komplett neu gemacht. Auch das Bühnenbild hatte
sie überarbeitet und so hergerichtet, als sei es noch nie vorher benutzt worden.
Jetzt saß sie in der kleinen Kammer neben der Sakristei aus der sie Stimmen vernahm.
Es waren die Kinder und Mütter, die das Krippenspiel in der Kirche aufführen würden,
für das sie alle Vorkehrungen getroffen hatte. Sie hatte ihnen alles hingelegt und gestellt,
was für die Aufführung nötig war. Die Kostüme in Reihe aufgehängt, so wie sie benötigt
wurden. Alle Requisiten dazu gestellt und beschriftet, welches Teil zu welchem Kostüm gehörte.
Sie saß da und lauschte. Jetzt ging es in die Kirche, die bis auf den letzten Platz gefüllt war.
Am heiligen Abend war die ganze Gemeinde da, auch die U-Boot-Christen, die immer nur an
Weihnachten auftauchten.
Aufmerksam verfolgte sie die Aufführung des Krippenspiels, dann die gesamte Christmette
und danach die ganzen Danksagungen an die Beteiligten und Darsteller. Danach lauschte
sie dem stapfen der Schuhe und Stiefel, die die Kirche verließen. Sie hörte, wie in der
Sakristei die Messdiener und der Pfarrer sich umkleideten und dann ebenfalls die Kirche
verließen. Dann war alles still. Keiner war in ihr Kämmerlein gekommen – nicht einmal
der Pfarrer war bei ihr gewesen. Niemand hatte ihren Namen erwähnt und somit hatte
auch keiner nach ihr geschickt um sich bei ihr zu bedanken. Sie hatte ja nicht groß auf
die Bühne gewollt oder mit Dankesarien gefeiert werden wollen. Aber hätte nicht
wenigstens der Pfarrer bei ihr vorbei schauen können um ihr zu sagen, dass sie
wieder alles schön zu Recht gemacht habe?
Enttäuscht zog sie ihren Schal vom Stuhl und band ihn sich um. Dann stand sie auf
und wollte die Tür öffnen, als sie kurz erschrak. Sie hatte eine Bewegung an der Tür
gesehen und schaut jetzt genauer hin. Da sah sie eine kleine Maus sitzen, die ihr
ungeniert ins Gesicht starrte. „Beinahe hätte ich dich übersehen, so grau, wie du bist,“
sagte sie zur Maus und lächelte bei dem Gedanken sich mit einer Maus zu unterhalten.
Als habe das Tier sie verstanden kam es ein paar Schrittchen näher und stand jetzt im
kleinen Lichtkegel, den die einzelne Deckenlampe ergab. Hübsch war die kleine Maus,
zwar tatsächlich grau, aber hübsch. Sie bückte sich herab und die Maus blieb
unbeeindruckt sitzen. Kurz überlegte sie, dann hielt sie der Maus die Hand hin.
Und tatsächlich sprang die Maus in die Hand, drehte sich und flitzte zum Schal
hinauf. Dort wuselte sie sich tief in den Schal und rollte sich am Hals ein.
Verdutzt stand sie da, mit einer Maus am Hals im Schal eingebettet.
Nach kurzer Überlegung öffnete sie die Tür, schloss alles gut hinter sich ab
und ging nach Hause. Dort angekommen kam die Maus aus dem Schal
gekrochen und setzte sich mit ihr an den, mit Keksen und Kakao gedeckten
Tisch. Sie feierten Weihnachten gemeinsam, die kleine und die große graue Maus,
die sonst niemand sah. Und damit hatte sie die schönsten Tage, die sie bisher
in der Gemeinde erlebt hatte.
Im nächsten Jahr fand kein Krippenspiel mehr statt. Man hatte vergessen,
dass jemand sich um Kostüme, Requisiten und Bühnenbild kümmern muss
und die nette Dame, die das bisher wohl immer gemacht hatte, war in diesem
Jahr nicht da gewesen. Leider hatte keiner eine Ahnung, wer sie gewesen war.
Von Conny Cremer



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